1.023.037 registrierte Schusswaffen auf 300.000 ÖsterreicherInnen. Unzählige unregistrierte Schusswaffen auf eine unbekannte Anzahl von ÖsterreicherInnen. Egal, ob legal oder illegal, online oder offline – der Handel mit Schusswaffen boomt.
Registriert
Diffuses Licht scheint durch die geschlossenen Jalousien. Die Luft steht. Ein eichenhölzernes E-Piano steht in der einen, ein tiefliegendes Holzbett in der anderen Ecke. Dazwischen ein dunkelgrauer, brusthoher Metallspind. Ein hölzernes Gewehr lehnt an der Außenseite. Ein vierstelliger Zahlencode blockiert den Abzug. Im Spind hängen eine Wischo 22lr, eine m44 und eine Alfa Project Carbine 357 Magnum. Eine handflächengroße Taschenpistole liegt zwischen den Läufen. Die Gewehre sind registriert. Die Pistole nicht. Sie ist schon so alt, dass keine Anmeldung nötig ist. Schießen tut sie trotzdem. Die Waffen gehören Christoph D. Waffenschein hat er keinen – den braucht er für die Gewehre auch nicht.
Wer eine Waffe der Kategorie C und D – also Gewehre und Schrotflinten – kauft, braucht keine Waffenbesitzkarte. Weder ein psychologisches Gutachten noch eine Praxisprüfung ist nötig. Das betrifft 60 Prozent der bereits gekauften Waffen. Es reicht aus, mindestens 18 Jahre alt zu sein, aus dem Europäischen Wirtschaftsraum zu stammen und in Österreich zu wohnen. Man darf nur nicht mit einem Waffenverbot belegt sein. Ungefähr 66.000 Gewaltverbrecher und einige andere dürfen keine Waffe kaufen.
„Ich sage immer: Mit den Waffen ist es wie mit einem Erste Hilfe Kasten, man ist froh, einen zu haben – besser, wenn man ihn nicht braucht.” Christoph D. fährt sich durchs aschblonde Haar. Ein händisch gestochenes Tattoo prangt an seinem Handgelenk. Für ihn zählen der Spaß am Schießsport und die Faszination für die Technik am meisten. Trotzdem fühlt er sich mit Waffen im Haus sicherer: „Ich hab’s gerne in meiner Nähe, falls wer einbricht. Da hab ich’s gerne bei der Hand.“
Nashornstärke
Markus Schwaigers grün-braune Augen blicken auf das Gewehr vor ihm. Es liegt neben einem Teller Keksen auf einem weiß lackierten Holztisch. „Technisch gesehen sind die meisten Jagdgewehre baugleich mit Scharfschützengewehren“, erklärt der Inhaber des Waffengeschäfts Euroguns. „Sie sind dazu geeignet, um auf 600 Meter Entfernung Nashörner zu erlegen.“ Er hat die Arme vor der ärmellosen, dunkelblauen Weste verschränkt. „Steyr verkauft Gewehre mit Kunststoffschaft an das Militär und genau das gleiche Gewehr nur mit einem Holzschaft an die Jäger.“
Erst drei Tage nach dem Bezahlen kann man seine Waffe abholen. Die sogenannte „Abkühlphase“ soll impulsive Käufe und Amokläufe verhindern. In dieser Zeit überprüft der Waffenhändler mit einer Ausweiskopie, ob man eine Waffe kaufen darf. Findet er kein Waffenverbot, wird die Waffe im Zentralen Waffenregister registriert.
So wie auf den 18-jährigen Mario S., Grundwehrdiener aus Niederösterreich. Im Mai hat er sich in Gänserndorf eine sogenannte Baikal-Flinte samt Munition gekauft. Drei Tage später hat er sie abgeholt. Noch ein paar Tage und er hat damit geschossen. Im Schulzentrum Mistelbach. Auf einen 19-jährigen Schüler.
572.600
Gewehre sind mit rund 500.000 registrierten Stücken die häufigsten privaten Schusswaffen. Mit ca. 72.600 Stück sind vergleichsweise wenige Flinten – wie die von Mario S. – im Zentralen Waffenregister erfasst. Sie müssen erst seit Juni 2014 registriert werden. Niemand weiß, wie viele Flinten vor der Meldefrist gekauft worden sind. Dazu kommen noch alte Waffen, die vor der allgemeinen Registrierungspflicht der 90er gekauft wurden.
Mit sechs Jahren hat er das erste Mal geschossen. Die Hände in die Taschen der schwarzen Cargohose gesteckt, erzählt Christoph D. von seiner Kindheit. Er ist mit nicht angemeldeten Waffen im Haus aufgewachsen. „Das war kein Thema bei uns zuhause. Ein Reichsrevolver aus 1879 – für den gibt’s nicht mal mehr Patronen (..) – der hat einfach dem Uropa meines Stiefvaters gehört und wurde weitergegeben. Der ist in einer Vitrine gelegen, im Wohnzimmer.“
Kein Besuch
Alle paar Jahre bekommt er Besuch von der Polizei. Sie kontrollieren, ob die Waffen ordnungsgemäß verstaut sind. Ob der Kasten, in dem sie lagern, abgesperrt ist. Auch die eingetragene Seriennummer vergleichen sie mit der auf dem Lauf. Er ist der Besitzer einer der 414.656 registrierten Schusswaffen der Kategorie B (Revolver, Pistolen, Repetierflinten und halbautomatischen Schusswaffen) in Österreich.
Christoph D. hat keine solche Waffe. Ihn lässt die Polizei in Ruhe. Für Flinten und Gewehre gibt es keine Kontrollen. „Wenn keiner im Haushalt unter 18 ist und ein Waffenverbot hat, kannst die Waffe geladen neben der Tür stehen lassen. Sie muss halt nur abgesperrt sein.“ Ein abgeschlossener Waffenschrank: Bei Waffen der Kategorie B verpflichtend – hier nur eine Fleißaufgabe. Christoph D. ist das zu unsicher. Früher lag ein Gewehr in der Lade unter seinem Bett. Die anderen waren im Kleiderschrank. Heute sperrt er sie ein. Nur die Mosin Nagan m1891/30 darf links am Kasten lehnen – abgesperrt mit einem Zahlenschloss.
Er würde niemals schießen. Auf Menschen zumindest. Die zittrigen Finger bröseln Tabak auf das zerknitterte Papier. „Beim Fortgehen heißt’s bei uns: ‚Draufhauen oder abhauen.’“ Mit geübten Handgriffen rollt er die Zigarette zusammen. „Ich bin Sportschütze. Für mich ist das Schießen am Schießstand wie Meditation.“ Für ihn sind die Waffen ein Hobby. Nicht mehr und nicht weniger. Eine weiße Rauchwolke zerfließt um seinen aschblonden Heisenbergbart. „Letztendlich töten Waffen keine Menschen. Menschen töten Menschen.“
Unregistriert
„Weißt du, ich kenn halt ein paar Leute, die sind mir meinen Erfolg mit dem Dealen z’neidig.“ Das schwarze Zelt ist innen silbern beschichtet. „Da wusste ich, Vorsorge ist besser als Nachsorge.“ Zwölf Pflanzen recken ihre sternförmigen Blätter dem spärlichen Licht entgegen. „Aber glaubst ich hab Bock, dass mir die Polizei im Haus steht? Da kann ich einpacken.“ Thomas K. schiebt seine schwarze, schmale Brille zurecht. Ein lockerer Zopf hält die langen, braunen Haare im Nacken zusammen. Als Drogendealer will er anonym bleiben. Eine registrierte Waffe kann er nicht brauchen.
Jugoslawisches Waffenlager
130 Tote. 683 Verletzte. Am 13. November 2015 schossen Anhänger des IS mit vier Kalaschnikows und vier tschechoslowakische und sowjetische Pistolen aus dem ehemaligen Ostblock um sich. In Westeuropa – in Paris.
„Die Schengenöffnung hat uns die Waffen frei Haus geliefert.“ Markus Schwaiger von Euroguns spricht mit lauter Stimme. Straßenlärm dringt durch das gekippte Fenster. „Von Bukarest bis Madrid kannst ohne Grenzkontrolle fahren. Ob du die Waffen aus östlichen Beständen schmuggelst, das kontrolliert keiner.“ Vor ihm auf dem Tisch liegen Pistolen und Patronen in einem geordneten Chaos. „Rumänien, Bulgarien, Moldawien – was alleine aus dem Eck an Waffen kommen, das passt auf keine Kuhhaut“
Seit dem Ende des Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien lagern dort tausende Schusswaffen. Heute werden sie am Schwarzmarkt verkauft. „Wennst das Schmuggeln wem anderen überlässt, dann kostet’s halt das Doppelte oder Dreifache.“ Schwaiger stützt seine sehnigen Arme auf den Tisch und lehnt sich nach vorne. Moderne, illegale Markenschusswaffen würden bis zu viermal so viel wie im legalen Handel kosten. Der Blick wandert auf die Glock vor ihm. „Es ist aufwendig, sie in die EU zu schmuggeln und Ihre Herkunft zu verschleiern.“ Billiger seien ältere Modelle aus Ex-Jugoslawien, Russland und Tschechien. Sie seien von Kalibern, die heute kaum mehr verwendet würden. Russische Makarows oder tschechische CZs, Waffen aus der Massenproduktion, würden gerade einmal 100 Euro kosten.
Recht auf Waffe
2017 wurde das Recht auf Waffenbesitz mit Waffenbesitzschein in der tschechischen Verfassung verankert. Der tschechische Präsident Miloš Zeman reagierte auf die Terrorserie der letzten Jahre mit einem Appell: „Ich finde wirklich, dass die Bürger sich bewaffnen sollten gegen die Terroristen.“ In Tschechien dürfen Waffen auf der Straße getragen werden. Bei den laxen Waffengesetzen in Österreichs Nachbarland floriert der Schwarzhandel an der Grenze.
„Wennst in Tschechien über die Grenze fährst, so wie bei der Excalibur City zum Beispiel und ein bissl schaust und auch ein wenig Kohle dabei hast, dann erwischst eh schnell mal jemanden, der fragt, ob du auch eine Waffe kaufen magst.“ Christoph D. selbst hat keine illegale Waffe.
Weg von der Straße
Die Franz-von-Assisi-Kirche streckt ihre roten Türme gen Himmel. Vor ihr wechseln ein Geldbündel und eine Pistole den Besitzer. Im 20. Jahrhundert hat sich der Schwarzhandel in Wien zunächst am Gürtel und später hauptsächlich am Mexikoplatz abgespielt. In den 1980ern hat die Polizei den Platz leergefegt. Wer heute eine Waffe will, braucht eine Kontaktperson.
Online braucht es das nicht. Im Darknet bieten Händler auf Amazon-ähnlichen Plattformen ihre Waren an. Die Auswahl reicht von Drogen und gefälschten Reisepässen bis hin zu groß- und kleinkalibrigen Waffen. Eine kurze Google-Suche reicht und man findet ein Wiki voll mit Links zu Marktplätzen und Foren. Das vielschichtige Netzwerk verwischt die Spuren der Nutzer. Eine rückverfolgbare IP-Adresse gibt es nicht.
IKEA für Waffen
Neun Tote. Fünf Verletzte. Am 22. Juli 2016 schoss der 18-jährige David S. in einem Münchner Einkaufszentrum mit einer umgebauten Theaterpistole um sich. Ein Händler aus Marburg hatte sie wieder funktionsfähig gemacht. David S. hat die Waffe im Darknet gekauft und persönlich abgeholt. Viele Händler verschicken auch.
In einem Drucker oder in einem TV-Karton verpackt, schmuggeln sie Waffenteile durch den Zoll. „Vor dem Versand zerlegen wir all unsere Schusswaffen in Einzelteile und bauen sie in Haushaltsgeräte ein“, schreibt ein Händler in einer verschlüsselten E-Mail. „Sobald der Kunde alle Teile erhalten hat, kann er seine Waffe zusammenbauen“.
Woher, wohin
Die meisten Waffen, die im Darknet angeboten werden, kommen aus den Vereinigten Staaten. Rund 50 Prozent des Darknet-Waffenhandels spielt sich dort ab. Innerhalb der Landesgrenzen gibt es keine Zollschranken. Beim Versenden nach Europa schon. Mit einem weltweiten Handelsvolumen von 23 Prozent werden die zweitmeisten Waffen in die EU verschickt.
„Wenn wir die Möglichkeit haben, versenden wir die Bestellungen gleich aus einem Land innerhalb der EU. Dazu haben wir Kontakte in Ost- und Zentraleuropa“, schreibt ein Waffenhändler. „Alles was ich sagen kann, ist, dass wir uns das ‘einfachste Land’ für die Einfuhr suchen und die Ware von dort aus weiterversenden.“
Heute anders als gestern
In den letzten Jahren sind die Waffenhändler im Darknet immer weniger geworden. Der Umsatz sei zu gering, der Aufwand rentiere sich nicht, erklärt ein Händler. Jene, die noch dabei sind, spezialisieren sich auf bestimmte Waffenarten. Sie fokussieren sich auf kleinere Pistolen oder auf größere, vollautomatische Gewehre. Einige verkaufen sogenannte „Ghost Guns“, Waffen ohne Vorbesitzer. Auch Großbestellungen werden immer beliebter.
„Als dieser ganze Handel im Darknet vor einigen Jahren aufgekommen ist, haben wir viele Waffen an Einzelpersonen verkauft. Das hat sich den letzten Jahren stark gewandelt. Rund 70 Prozent unserer Bestellungen sind mittlerweile Großbestellungen mit zehn Waffen oder mehr“, schreibt ein Waffenhändler.
Die dunkle Seite der dunklen Seite
Insgesamt ist die Waffenszene im Darknet klein. Gerade einmal 0,5 Prozent aller Verkaufsanzeigen sind Waffen. Experten der RAND Corporation, einem Thinktank in den USA, befürchten aber, dass das Darknet für einzelne Terroristen, Amokläufer und kleine Gangs weltweit zur bevorzugten Quelle für Schusswaffen werden könnte.
Markus Schwaiger sieht im Darknet geringe Gefahr. Neben dem Waffengeschäft ist er als Berufsdetektiv tätig. Sein Steckenpferd: Online-Kriminalität. „Das Geschäftsmodell im Darknet ist komplett anders. Was dort gut geht, sind Geschäfte mit virtuellen Waren – nicht mit Waffen.“ Er schüttelt den Kopf: „Viele angebotenen Waffen sind Fakes – Scheinangebote. Die Käufer zahlen, kriegen die bestellte Ware aber nie.“
Ein Marktplatzbetreiber bestätigt Schwaiger in einer anonymen Mail. „Die meisten Waffen-Verkäufer sind Betrüger. In der Vergangenheit mussten wir mindestens zehn Händler sperren, weil sie von den Käufern nur Geld einsacken wollten. Normalerweise kann sich ein Nutzer bis zwei Wochen nach dem Verkauf melden, falls die Ware nicht ankommt. Dann bekommt der Käufer das Geld zurück.“ Ist die Frist vorbei, ist das Geld weg. Mit oder ohne Waffe.
Genau das ist Thomas K. passiert. Er hat über einen Freund den Kontakt zu einem holländischen Händler gesucht. Dieser verkauft neben Drogen auch Waffen. So wie die Walther PPK. Rund 800 Euro in Bitcoins hat er überwiesen. Umsonst, wie sich herausstellte. Bei der Polizei kann er sich nicht beschweren. Er hat dem Händler eine schlechte Bewertung gegeben – wie bei Amazon.
*Die Namen von Christoph D. und Thomas K. wurden von der Redaktion geändert.
Zahlen, Daten, Fakten
16.000 Pistolen, Gewehre und Flinten mehr in drei Monaten. Um 1,8 Prozent stieg die Anzahl an privat registrierten Schusswaffen von September bis Anfang Dezember 2015. Im Frühjahr 2017 wurde die Millionenmarke geknackt: 300.000 ÖsterreicherInnen besitzen 1.023.037 registrierte Schusswaffen. Das sind fast gleich viele Schusswaffen wie Haushalte mit Kabel-TV. Mit 0,02 Prozent aller Gewaltdelikte im Jahr 2016 sind Straftaten mit Schusswaffen in Österreich sehr selten. Absolut gesehen sind es aber immerhin 1.180 Fälle. Damit gab es 2016 fast doppelt so viele Delikte mit Schusswaffen wie im Jahr 2008. Bei fast drei Viertel der Fälle kamen illegale Schusswaffen zum Einsatz. Geschossen wurde insgesamt 416 Mal. Mehr als 3,5 Mal sooft wie acht Jahre zuvor. |
Waffenkategorien
Rechtssituation
*für Personen, die regelmäßig schießen (Jäger, Sportschützen) und Polizisten nicht notwendig
**Ausgenommen Kriegsmaterial